Religion während der Mauerzeit
in dem folgenden Artikel erfahren Sie etwas über die Religionen zur Zeit der Mauer. Wir haben drei Zeitzeugen interviewt, darunter eine Pfarrerin, einen Pfarrer und einen aktiven Christen. Durch die Gespräche mit ihnen haben wir viele Informationen erhalten. Der Pfarrer Dr. Bernhard Schmidt, hat schon seine Jugend in der DDR als Pfarrerssohn erlebt. Seit 1998 ist er Pfarrer im Kirchenkreis Falkensee. Die Pfarrerin, Barbara Deml, war zwar zu Mauerzeiten in der BRD, jedoch wusste sie durch Freunde und Verwandte viel zu unserem Thema. Hans Manti war ein Christ zur Zeit der DDR und hat sein ganzes Leben im Osten verbracht.
Alle wörtlich zitierten Sätze stammen aus den Interviews mit Barbara Deml vom 21.01.2025 im Lise Meitner Gymnasium, mit Hans Manti vom 19.01.2025 bei ihm Zuhause und mit Bernhard Schmidt vom 21.01.2025 im Superintendentur Falkensee.
Interview mit Barbara Deml
Die Gläubigkeit der Menschen vor dem Mauerbau war durch eine hohe Kirchenpräsenz geprägt, mit vielen Menschen, die regelmäßig die Kirche besuchten und u.a. an Konfirmationen teilnahmen. In Brandenburg gehörten 80-90% der Bevölkerung der Kirche an. Der Ausgangspunkt in Ost- und Westdeutschland war vor dem Mauerbau ähnlich, da alle gut religiös sozialisiert waren.
Die Zugehörigkeit zur Kirche war vor dem Mauerbau normal, die Menschen waren entweder katholisch oder evangelisch. Während der Zeit der Mauer nahm die Kirchenzugehörigkeit jedoch schrittweise ab, was als langsame Entkirchlichung bezeichnet werden kann. Ab den 1970er Jahren näherte sich die Situation einem Status quo, in dem die Kirche eigenständig agieren konnte und der Staat dies zuließ. Diese Phase wurde als „Kirche im Sozialismus“ bezeichnet. Die Kirche suchte den Dialog mit dem Staat, blieb jedoch ein schwieriger Gesprächspartner. Frau Deml stellte fest, dass die Generation der 80-Jährigen häufig in der Kirche blieb, während deren Kinder überwiegend aus der Kirche austraten. Es ging nicht nur um die Mitgliedschaft in der Kirche, sondern auch um den Glauben und die Teilnahme am Gottesdienst.
Die Zugehörigkeit zur Kirche war im Westen nach dem Mauerbau zunächst weiterhin normal, und die Entkirchlichung setzte dort viel später und langsamer ein. Bei Frau Deml war die Frage, ob sie konfirmiert würde, immer klar. Durch die DDR wurde jedoch die Jugendweihe immer populärer. Frau Deml erzählt: „Deswegen haben manche auch beides gemacht, damit sie sich nicht outen mussten oder sich nicht in den Konflikt stellen mussten." Einige entschieden sich für eine Jugendweihe, um sich nicht zu outen oder Nachteile, insbesondere beim Abitur und Studium, zu vermeiden, was in der oft DDR der Fall war.
Die Regierung machte deutlich, dass eine Zugehörigkeit zur Kirche nicht gerne gesehen wurde. Insbesondere machten dies Schulen deutlich, wo man negativ über Kirchenmitglieder sprach. Es herrschte ein gewisses Kennzeichen, was dazu führte, dass man als „ein bisschen gebrandmarkt“ galt. Viele Menschen traten aus Angst, benachteiligt zu werden, aus der Kirche aus, da die Kirche nicht zur Ideologie passte und einen niedrigen Stellenwert hatte. Es bestand die Sorge, dass ein offenes Bekenntnis zur Kirche negative Auswirkungen auf die Karriere haben könnte.
Die Nachteile einer Kirchenzugehörigkeit äußerten sich in Schwierigkeiten, eine gute Schullaufbahn einzuschlagen. Der Zugang zu Gymnasien oder Universitäten war erschwert, insbesondere wenn es um die Vergabe von Schul- oder Kitaplätzen ging, da bei der Auswahl darauf geachtet wurde, ob das Umfeld vertrauenswürdig im Sinne des Sozialismus war oder ob eine Kirchenzugehörigkeit vorlag.
Frau Deml erzählt, dass Personen, die trotz der Mauer Konfirmation feierten oder in der Kirche aktiv waren, häufig geächtet wurden.
Nach dem Mauerfall erholten sich die Kirchen. Nichtsdestotrotz gehörten lediglich 10% der Bevölkerung in Brandenburg der Kirche an. Die Abwesenheit einer ganzen Generation führte dazu, dass in der jüngeren Generation nur wenige Menschen in die Kirche gingen, da das Wissen um religiöse Praktiken nicht mehr vorhanden war. Brandenburg gilt als die am wenigsten religiöse Region in Europa.
Im Westen war ein allgemeiner Rückgang der Christen zu verzeichnen, der jedoch nicht ausschließlich auf den Mauerfall zurückzuführen war, sondern auch auf die demokratische Entwicklung. Es gab mehr ältere als junge Menschen, und die Kirchenaustritte wurden nicht nur durch den Rückgang der Mitgliederzahlen, sondern auch durch das Ableben älterer Menschen verursacht. Zudem spielte die Kirchensteuer eine Rolle in diesem Kontext.
Interview mit Bernhard Schmidt
Das Leben der Menschen nach dem Krieg war geprägt von einer hohen Kirchenzugehörigkeit. Die meisten Menschen waren evangelisch oder katholisch, während nur noch wenige Juden in der Gemeinschaft vertreten waren. Es war nahezu unvorstellbar, nicht in der Kirche zu sein. Nach dem Krieg stellte die Zeit eine Herausforderung dar, da viele Kirchen stark beschädigt waren. Im Jahr 1949 gehörten etwa 95 % der Bevölkerung einer Kirche an, während dieser Anteil bis zum Ende der DDR auf etwa 20 % sank, da die DDR eine atheistische Ausrichtung hatte.
Die Zugehörigkeit zur Kirche war vor dem Mauerbau als normal angesehen. Jedes Kind wurde in der Regel direkt getauft und die meisten wurden konfirmiert. Herr Schmidt erzählt: ,,Am Anfang war es normal und dann wurde es immer weniger normal.”
Herr Schmidt wurde sechs Monate nach der Geburt getauft. Die Konfirmation wurde im Alter von 15 Jahren bei ihm durchgeführt, da die Jugendweihe an Bedeutung gewann und die Kirche beschloss, die Konfirmation nicht im selben Jahr wie die Jugendweihe abzuhalten.
Nach dem Mauerbau traten viele Menschen aus der Kirche aus, was auf den Druck der atheistischen DDR zurückzuführen war. Die Jugendweihe wurde zur Norm und bot mehr Vorteile, beispielsweise für den Zugang zum Abitur. Werbung für die Kirche war nicht gestattet, und die Kirchensteuer musste die Kirche selbst einziehen.
Die Regierung übte erheblichen Druck aus, insbesondere auf diejenigen, die im Staatsdienst arbeiten wollten; oft war ein Austritt aus der Kirche erforderlich. Viele Menschen traten aus Angst vor Benachteiligungen aus der Kirche aus. Christen entschieden sich häufig dafür, die Jugendweihe ebenfalls zu machen, um Nachteile, insbesondere beim Abitur und Studium, zu vermeiden.
Die Nachteile für Kirchenmitglieder waren vielfältig. Herr Schmidt erzählt, dass er verspottet wurde, insbesondere, weil er ein Pfarrerskind war. Schüler, die regelmäßig Gottesdienste besuchten, erlebten Nachteile, obwohl sie gute Leistungen erbrachten. Beispielsweise wurde einem Schüler, der in die Kirche ging, der Zugang zum Abitur verwehrt, weil er nicht in der FDJ war. Auch die Möglichkeit, eine Auszeichnung in der 10. Klasse zu erhalten, wurde Herrn Schmidt verwehrt. Studiengänge wie Jura und Geschichte waren für ihn nicht zugänglich. Er erzählt: ,,Ich konnte Musik studieren, denn das ging auch ohne Abitur und ohne FDJ. Weil die Musikhochschulen hätten dicht machen können, wenn man die Pfarrerskinder ausgeschlossen hätte, da fast die Hälfte aller Studenten Pfarrerskinder oder Kantorenkinder waren.” Später wurde er nicht zum Probespielen bei Spitzenorchestern eingeladen, da er nicht in der FDJ war.
Im Westen verlief die Entwicklung anders. Die Mehrheit der Bevölkerung blieb der Kirche treu, und die kirchlichen Strukturen wurden an das politische System angepasst. Der Religionsunterricht wurde nicht durch Christenlehre ersetzt. Der Prozess der Entkirchlichung verlief deutlich langsamer als in der DDR.
Während der deutschen Teilung hatte es große Unterschiede zwischen Ost und West gegeben; beispielsweise gab es in der DDR keinen Religionsunterricht in der Schule, sondern nur Christenlehre in der Gemeinde. Mit der Wiedervereinigung wurde auch in den neuen Bundesländern das kirchliche System der Bundesrepublik Deutschland wiederhergestellt, einschließlich Religionsunterricht in den Schulen, Militärseelsorge und Einzug der Kirchensteuer durch den Staat. Am wichtigsten für die Kirchen war die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit.
Interview mit Hans Manti
In Brandenburg existierten größtenteils die beiden großen Konfessionen. Es gab auch andere kleinere Kirchen. Einige Kirchenbauten wurden beim Mauerbau abgerissen.
Die Zugehörigkeit zur Kirche war nicht für alle Menschen selbstverständlich. Etwa die Hälfte der Schüler in der Klasse von Herrn Manti war gläubig, zwölf ließen sich konfirmieren, zwei gehörten dem katholischen Glauben an und eine Schülerin gehörte den Siebenten-Tags-Adventisten an.
Die Frage der Kirchenzugehörigkeit stellte sich für Herrn Manti nicht, da für ihn die Konfirmation unumgänglich war. Sein Vater war katholisch und die Mutter evangelisch. Eine Option, die Konfirmation nicht zu machen, gab es nicht. Der Religionsunterricht fand nicht in der Schule, sondern im Gemeindehaus mit Katecheten statt.
Nach dem Mauerbau kam es zu erheblichen Veränderungen. Die Regierung verbot nicht ausdrücklich die Kirchenzugehörigkeit, jedoch mussten gläubige Jugendliche, die das Abitur machen oder studieren wollten, drei Jahre in die Armee. Wer dieser Verpflichtung nicht nachkam, durfte nicht studieren. Herr Manti erzählt, dass es Druck vom Staat gab, die Jugendweihe zu machen.
Auf die Frage, wie es bei seinen Verwandten im Westen verlief, antwortete er: ,,Da hat sich nicht viel verändert. Meine Westverwandten waren weiterhin in der Kirche und die meisten waren katholisch.”
Nach dem Mauerfall erholten sich die Kirchen, insbesondere durch die Zuwanderung von Menschen aus dem Westen. Heute sind in den Kirchen weniger Personen aus der ehemaligen DDR anzutreffen, der Großteil der Kirchgänger und Kirchgängerinnen stammt aus dem Westen. Nach dem Mauerfall kehrten aber auch viele ortsansässige Menschen in die Kirche zurück.
Taufen der Heilig Geist Gemeinde Falkensee zwischen 1953-2000
Die Grafik stellt dar, wie viele Menschen zwischen 1953-2000 in der Heilig Geist Gemeinde Falkensee getauft wurden. Die Y-Achse stellt die Anzahl der Taufen dar und die X-Achse die Jahre. Bevor die Mauer gebaut wurde, gab es zwischen 25 und 60 Taufen pro Jahr.
Durch die Mauer nahm die Zahl an Taufen ab, auf ca. 2 bis 25 Taufen. In dem Diagramm sieht man, dass nach dem Mauerfall die Zahl der Taufen wieder angestiegen sind. [1]

Unser Fazit
Zusammenfassend haben wir aus den drei Interviews gelernt, dass es zur Mauerzeit vielfältige Grenzen zwischen den Religionen und dem Staat gab. Um auf unsere Leitfrage zurückzukehren, gab es im religiösen Bereich viele Schwierigkeiten, da die Regierung der DDR atheistisch war, wodurch sie viel Druck auf die Kirchen bzw. auf die Christen ausübte. Außerdem wurden durch den Mauerbau viele Kirchen abgerissen, was das Verhältnis zwischen Staat und Religion nicht verbesserte. Durch den Mauerfall wurden die „Grenzen“ zwischen Staat und Religion wieder eingerissen und die Beziehung verbesserte sich sichtlich.