top of page

Kindheit in der DDR

Die Kindheit prägt einen Menschen wie kein anderer Lebensabschnitt. Als Kind ist man am beeinflussbarsten, hat noch keine eigene Meinung und übernimmt dementsprechend die Meinung anderer. So war es auch in der DDR, einem sehr politisch geprägten Staat. Schon in jungen Jahren wurden Kindern, z.B. durch Kinderbücher, die Ideale der DDR nähergebracht.  Bereits in der ersten Klasse gab es das Fach „Staatsbürgerkunde“. Geschichtliche Ereignisse wurden teilweise nicht korrekt dargestellt oder beschönigt. Dies geschah, damit die Kinder den Staat unterstützten und nicht in Frage stellten. 

Kindheit in der DDR

Die Kindheit verläuft bei jedem anders. Jeder macht seine eigenen Erfahrungen und auch die Eltern spielen in der Entwicklung eine große Rolle. So geben diese beispielsweise ihre Meinung an ihre Kinder weiter. Dies sorgte in der DDR dafür, dass die Kinder der Regierungskritiker oft Probleme hatten und ihnen so eine Chance auf eine selbstbestimmte Zukunft genommen wurde. Heute können sich Kinder unabhängig von der Meinung ihrer Eltern und des Staats entwickeln. Das ist einer der größten Unterschiede zwischen der Kindheit heute und der während der DDR. Natürlich gibt es noch andere Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Diese sollen durch den nachfolgenden Text dargestellt werden, in dem der typische Ablauf der Kindheit in der DDR beschrieben wird. 

 

Nur wenige Eltern konnten sich während der sozialistischen Zeit ein bis zwei Jahre Mutter- oder Vaterschaftsurlaub nehmen, weshalb Babys meistens ab dem ersten Lebensjahr eine Kindergartengruppe (die Krippe) besuchten, manche aber auch schon früher. Die Kinderbetreuung der DDR war staatlich organisiert, daher waren Kindergarten und Krippe für Eltern kostenlos. Ab einem Alter von vier Jahren konnten Kinder einen Kindergarten besuchen. Sogar hier gab es schon politische Prägung, indem beispielsweise den Kommunismus verherrlichende Lieder gesungen wurden. [1]

Mit sechs Jahren wurden die Kinder meistens am ersten September eingeschult. In Falkensee gab es in der DDR-Zeit Schulen wie die Lessingrundschule, die Diesterwegschule und die Maxim-Gorki-Schule (heute die Einrichtung “Creatives Zentrum”). [2]

Die Polytechnische Oberschule (POS) war eine für alle Kinder verpflichtende Schule und entspricht heute der Grund- und Oberschule. Eine Klasse blieb von der ersten bis zur 10. Klasse zusammen. Damals gab es, anders als heute, keinen Schulwechsel, sondern eine Schule, die bis zum Schulabschluss besucht wurde.  

Der Abschluss nach der 10. Klasse war genauso wie heute der Mittlere Schulabschluss. In der DDR gab es separate Spezialklassen und -schulen für besonders begabte Schüler und für Kinder, die schwer erziehbar waren oder gefördert werden mussten. [3]

Der Zugang zu den Schulen für begabte Schüler hing aber auch von der politischen Meinung der Eltern an.  Der Staat übernahm ebenfalls einen Großteil der Freizeitgestaltung der Kinder. Bevor man als Jugendlicher der FDJ beitreten konnte, gab es für die Erst- bis Drittklässler die Möglichkeit, Jungpionier zu werden. Es gab keine Pflicht, beizutreten, allerdings war man automatisch nicht mehr Teil der Gruppe und vielen Ausgrenzungen ausgesetzt, wenn man den Jungpionieren nicht angehörte.  

Hier wurde an den Nachmittagen oft gebastelt, gebacken, Spiele gespielt, Ausflüge und noch viel mehr gemacht. Dadurch sollte das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden. Außerdem trugen alle Jungpioniere Pionierblusen und zu besonderen Anlässen auch ein blaues Pionierhalstuch. Dadurch sahen alle Kinder nahezu gleich aus, so wie es im Kommunismus sein sollte, denn Kommunismus ist das Prinzip, nach dem jeder gleich sein sollte und es demnach kein Reich oder Arm gibt.  

Mit 14 Jahren nahmen die meisten Kinder an der Jugendweihe teil. Von da an galt man als jugendlich und musste von den Lehrern mit “Sie” angesprochen werden. Mit 14 konnte man auch der FDJ beitreten, der Jugendorganisation der SED. Meistens handelte es sich allerdings nicht um ein “Kann”, sondern um ein “Muss”, weil oft kein Weg an dem FDJ-Beitritt vorbeiführte. [1]

Wenn man die 10. Klasse abgeschlossen hatte, konnte man anschließend eine Fachhochschule besuchen oder einen Beruf erlernen. Es gab auch die Möglichkeit, die Erweiterte Oberschule (EOS) zu besuchen, die dem heutigen Gymnasium entspricht. Bis 1984 wechselten die Schüler schon nach der 8. Klasse auf die Erweiterte Oberschule, danach erst nach der 10. Klasse. Die EOS besuchten fast immer nur Schüler, deren Eltern Mitglieder der SED waren, oder Jugendliche, die sich für eine längere Zeit als Mitglied der Nationalen Volksarmee verpflichteten.  Nur 10% der Jugendlichen eines Jahrgangs durften auf die EOS gehen. Diese dauerte zwei Jahre lang und am Ende der 12. Jahrgangsstufen konnte man das Abitur machen. Aus diesem Grund waren die Klassen der EOS oftmals viel kleiner als die der normalen Schulen. Es war wie eine Auszeichnung, zur EOS zu dürfen. [3]

Colorful Modern Business Timeline Infographic Graph.png

Zeitzeugeninterviews, wie war die Kindheit in der DDR aus ihrer Sicht?

Alle wörtlich zitierten Sätze stammen aus den Interviews mit Irmgard Gerlach vom 12.12.2024 im La Bocca (Karl-Marx-Straße 54, Falkensee) und mit Lisa Lange vom 22.01.2025 in der Waldstraße 18.

Irmgard Gerlach: „Ich wollte nie, nie Lehrer sein.” 

Bevor Frau Gerlach 1960 wegen einer Wohnung nach Falkensee verwiesen wurde, lebte sie mit ihrer Familie in Hennigsdorf. Dort hatte sie als Ingenieurin gearbeitet. Als sie nach Falkensee zog, nahm sie eine Stelle als Horterzieherin des Horts der Lessinggrundschule Falkensee an. Ihre zweijährige Ausbildung schloss sie in Potsdam ab. Von da an unterrichtete sie die Fächer Werken und Kunsterziehung, allerdings nur die Klassenstufen 1-4. In einem Alter von 63 Jahren ging sie früher als vorgesehen in Rente, weil ihre Tochter krank war. In einem Interview gab Frau Gerlach uns einen Einblick in ihrem Alltag am Hort der Lessinggrundschule. 

Als Horterzieherin arbeitete man nicht nur nachmittags. Auch vormittags, wenn die Eltern sich nicht selbst um die Kinder kümmern konnten, beschäftigten sie sich mit den Jungen und Mädchen. Nach dem Mauerbau kam das oft vor. Der Weg zur Arbeit in Berlin und zurück dauerte länger als früher, weil man nun einen großen Bogen um die BRD machen musste. So hatte Frau Gerlach oft Früh- oder Spätdienst.  

„Das Mittagessen aßen alle gemeinsam.“ Ähnlich wie an den meisten der heutigen Schulen konnte jedes Kind sein Essen vorbestellen und dann später bezahlen. „Damals war noch angeordnet, dass jedes Kind Mittagsschlaf machen musste.“ Am Nachmittag half sie den Kindern bei den Hausaufgaben und übernahm anschließend die Freizeitgestaltung. Sie gingen oft nach draußen und spielten Kreisspiele oder welche mit Seil, Gummitwist zum Beispiel. Sie brachte auch ihre eigenen Kinder zum Werkunterricht, weil der nicht im Schulgebäude stattfand. Dort lernten die Kinder, einfache Dinge wie einen Stuhl zu bauen und wie Möbel aufgebaut sein mussten, damit sie Stabilität boten. Viele Kinder besuchten auch die Musikschule. Regelmäßig machte Frau Gerlach mit den Kindern auch Ausflüge. „Wir haben viele Wanderungen gemacht mit den Kindern zum Falkenhagener See.“  

Die Horterzieher waren ebenfalls für die Feriengestaltung mitverantwortlich. Einmal, so erinnert sich Frau Gerlach, fuhr sie mit einer Gruppe zur Ostsee. Meistens besuchten die 30 Kinder einer Klasse zusammen ein Ferienlager. Mädchen und Jungen waren gleich verteilt. Sie waren größtenteils sehr nett und nur selten ungezogen. „Schwimmen war schlecht, weil wir keinen Schwimmmeister hatten. “ Dafür wurden jedoch oft Sportevents veranstaltet. 

Durch ihren Job erfuhr Frau Gerlach viel über die Einschulung an der Lessinggrundschule. Die Einschulungsfeier fand immer im Kino statt. Dort wurde ein Film gezeigt und auch der Direktor war anwesend. Eine Einweisung für die neuen Erstklässler gehörte auch zum Programm. 

Ein Unterschied, der Frau Gerlach in Bezug auf das Leben in Falkensee in den Sinn kommt, ist die Wichtigkeit des Weihnachtsfests. Ein interessanter Umstand, denn die DDR war ein anti-kirchlicher Staat, der die Kirchenarbeit eher unterdrückte. Sie erinnert sich, dass Weihnachten früher viel größer gefeiert wurde und wichtiger war als heute. Kulturell war das Fest hoch angesehen.  

Die Einstellung zur Kirche sah damals ganz anders aus als heute. Frau Gerlach erzählte, dass sie in ihrer Abschlussprüfung in Kunsterziehung eine schlechtere Note bekam. „Das war meiner Direktorin zu religiös.“ Zudem war es nicht gerne gesehen, wenn die Kinder in die Kirche gingen. Es war allerdings nicht verboten.    

Es lassen sich jedoch auch Gemeinsamkeiten feststellen. So gehörten Lehrgänge und Weiterbildungen auch zu ihrem Leben als Horterzieherin dazu. 

Die Frage, inwiefern der Bau der Mauer in Falkensee das Leben der Kinder beeinflusste, beendete unser Interview. Frau Gerlach selbst hatte zwar keine Probleme und nahm diese Veränderung einfach hin, aber ein paar andere ihrer Bekannten wurden dadurch beeinflusst. Dies lag daran, dass Familien getrennt wurden. Bei anderen hingegen änderte sich der Weg zur Arbeit, da manche nach Berlin fahren mussten. 

 

Lisa Lange*: „Es war für mich sehr schwierig, zur EOS zu kommen, obwohl ich die Beste in der Klasse war. […], weil wir ziemlich offen mit unserem christlichen Standpunkt umgegangen sind. ”7 

 

Lisa wuchs in einem christlichen Elternhaus auf, das auch sehr offen mit seiner christlichen Werthaltung umging und jeden Samstag in die Kirche ging. Sie war vier Jahre alt, als die Mauer gebaut wurde und hatte auch Verwandtschaft in der BRD. Eingeschult wurde Lisa 1963 und bis zur 8. Klasse besuchte sie eine Schule in Dallgow. Danach wechselte sie mit einigen Schwierigkeiten an die EOS, um später Medizin studieren zu können. Das Studium blieb ihr allerdings verwehrt. 

Den Kindergarten besuchte Lisa nur ca. ein Jahr, da es damals noch üblich war, dass Mütter zu Hause auf ihre Kinder aufpassten. „Diese bedrückende Stimmung, die habe ich schon mit vier deutlich gespürt.”, erinnert sie sich an den Mauerbau. Durch den Mauerbau wurde ihre Familie getrennt. „Das war schon sehr schlimm.“  

Auf der Grundschule, die Lisa besuchte, gab es einmal wöchentlich einen Fahnenappell. Dabei stellten sich alle Klassen in Blöcken auf und ein Schüler meldete dann, dass die Klasse zum Lernen bereit war. Danach wurde die Fahne gehisst und der Direktor hielt eine kurze Ansprache. Es gab hierbei auch öffentliche Belobigungen oder Tadel, wenn eine Person besonders aufgefallen war, entweder durch gutes oder schlechtes Verhalten. Das war natürlich sehr unangenehm und man war immer froh, wenn man nicht selbst aufgerufen wurde. 

Sie hatte die Fächer Biologie, Chemie, Physik, Mathematik, Deutsch, Englisch, Russisch, Sport, Kunst, Musik, Staatsbürgerkunde, Einführung in die sozialistische Produktion (ESP) und Unterricht in der Produktion (UTP). 

Später trat Lisa der FDJ bei, obwohl sie das eigentlich nicht wollte. Der Druck war zu groß, sie war auch immer die Einzige, die nicht in der FDJ oder bei den Jungpionieren war. Sie sei irgendwie gar nicht darum herumgekommen, der FDJ beizutreten, erzählte sie. 

Später wollte sie die EOS besuchen. Das war allerdings sehr schwierig für sie, da sie christlich war und das sehr ernst genommen hat. ,,Und das wussten die Lehrer auch’’, sagte sie uns. Deshalb wollten sie nicht, dass Lisa zur EOS geht. Weil ihr Vater aber zum Kreisschulrat ging und auf die in der Verfassung festgehaltene Glaubens- und Gewissensfreiheit hinwies und anschließend fragte, warum seine Kinder denn das Abitur nicht machen dürften, obwohl sie weder gegen die Verfassung verstießen, noch in anderer Weise negativ auffielen, durfte Lisa doch zur EOS gehen. Damals konnte man noch keine Fächer abwählen, weshalb sie die Fächer der Grundschule auch auf der EOS hatte. In der EOS wurde viel Druck auf Lisa ausgeübt und es gab sogar Lehrer, die sagten, sie gehöre nicht dorthin. Nebenbei gab es auch immer noch eine politische Beurteilung, die in die Leistung mit einfloss. 

Es gab neben den normalen Elternversammlungen auch eine Elternversammlung der Genossen, also der Parteimitglieder, bei der unter anderem besprochen wurde, welche Note bestimmte Kinder bekommen sollten. Lisa und ihre Schwester waren oft im Gespräch. Dann wurde entschieden, ob sie die bessere Note bekommen sollten oder doch lieber die schlechtere. 

Lisa weiß allerdings auch von liberaleren Schulen, die es in anderen Teilen der DDR gab. Sie vermutet, dass die Nähe zur Mauer dafür sorgte, dass ihre Schule besonders streng war. „So die grenznahen Orte, die wollten sich besonders eben abgrenzen, weil die Verbindung ja mit Verwandtschaft hier auch viel mehr war als zum Beispiel in Sachsen.” 

*Name von Verfasser_in geändert. 

Wie hing die Kindheit in der DDR mit Grenzen zusammen?

Schon in jungen Jahren wurden Kindern viele Grenzen aufgezeigt, an die sie sich halten mussten. 

Da der Staat, die DDR, die Freizeitaktivitäten der Kinder größtenteils organisierte, verbrachten fast alle diese in den gleichen Gruppen, für die Erst- bis Drittklässler gab es die Jungpioniere und ab 14 die FDJ. Jeder, der nicht in diesen Freizeitgruppen war, wurde automatisch ausgegrenzt. Dadurch existierte keine klare Grenze zwischen Schule und Freizeit, wie es heute der Fall ist. Diejenigen, die nicht Teil der Jungpioniere oder der FDJ waren, wurden nicht nur nach, sondern auch während der Schulzeit ausgegrenzt. In der Schule erkannte man sie sofort, weil sie nicht die gleiche Kleidung tragen durften wie der Rest. Auch Menschen, die religiös waren und offen damit umgingen, wurden von der Gesellschaft ausgeschlossen. 

 

Kinder und Jugendliche spürten diese Ausgrenzung besonders stark. Sie wurde zum Beispiel durch Lehrer sehr deutlich, da diese teils offen zur Schau stellten, was sie davon hielten, dass solche Kinder nicht an die Schule gehörten. Heute ist das nicht mehr so. In der heutigen Gesellschaft legen wir viel größeren Wert auf Akzeptanz und Gleichheit.  

Während die Grenzen zwischen Freizeit und Schule verschwammen, war das Zuhause ein Ort, der stark von diesen beiden Komponenten abgegrenzt war. Die Kinder wussten, dass sie in der Schule viele Dinge nicht sagen durften, da es bei staatsfeindlichen Aussagen zu schweren Konsequenzen für die Schüler und deren Eltern führen konnte. Zu Hause konnten die Kinder frei reden und mussten nicht immer auf der Hut sein, was sie sagten. Auch in ihren Freundeskreisen wussten sie, dass man manchen Kindern gegenüber seine Meinung frei sagen konnte und anderen gegenüber nicht, da z. B. deren Eltern Mitglieder in der SED waren.  

Hier geht es zu den Quellen, die wir in diesem Projekt verwendet haben.

bottom of page